Donnerstag, 14. Juli 2011

4.) Listen-Nr. 17: Große Erwartungen von Charles Dickens, 1860

Mein Lieblingszitat: "In an armchair sat the strangest Lady I had ever seen, or shall ever see. She was dressed in rich materials — satins, and lace, and silks — all of white. And she had a long white veil dependent from her hair, and she had bridal flowers in her hair, but her hair was white. (...) She had not quite finished dressing, for she had but one shoe on — the other was on the table near her hand — her veil was half arranged, her watch and chain were not put on. (...) But, I saw that everything within my view which ought to be white, had been white long ago, and had lost its luster, and was faded and yellow. I saw that the bride within the bridal dress had withered like the dress, and like the flowers, and had no brightness left but the brightness of her sunken eyes."

Zur Story:
Ich habe noch nie Charles Dickens gelesen, natürlich aber von ihm gehört. Nach kurzer Internetrecherche weiss ich nun über den "Meister viktorianischer Prosa", dass seine Werke "brilliante Plots" besitzen und die Figuren seiner Bücher zu den "most haunting", also den packendsten Charakteren der Literaturgeschichte gehören. Was damit gemeint ist, wird mir schon innerhalb der ersten Seiten klar. Unsere Hauptfigur ist Pip, ein Waisenjunge der zu Beginn des 19. Jahrhunderts von seiner Schwester und ihrem Mann in ärmlichen Verhältnissen großgezogen wird und seine Geschichte rückblickend aus der Ich-Perspektive erzählt. In seinem Dorf gibt es eine große Villa, deren Besitzerin Miss Havisham seit langer Zeit niemand mehr zu Gesicht bekommen hat. Völlig unerwartet erhält Pip aber eine Einladung die Villa zu besuchen. Als er dort ankommt und Miss Havisham zum ersten Mal erblickt (siehe Zitat oben), wird der Leser von Charles Dickens mühelos in die gespenstische Welt hineingezogen, die sich vor Pip entfaltet. Die alte Frau, so wird Pip etwas später erfahren, wurde vor vielen Jahren an ihrem Hochzeitstag von ihrem Geliebten sitzengelassen, während sie sich gerade für die Trauung anzog. Voller Verbitterung ließ sie daraufhin das Leben in ihrer Villa anhalten, alle Uhren wurden gestoppt und Miss Havisham verbringt ihre Tage von nun an in ihrem alten Hochzeitskleid in ihrer Hochzeitskammer und setzt sich nie wieder dem Tageslicht aus. Inmitten dieser traumatischen Atmosphäre wächst ein kleines Mädchen auf, Miss Havishams Adoptivtochter Estella, die zwar wunderschön aber eiskalt ist, da sie von der alten Dame von jeher eingetrichtert bekam, dass Liebe nur Schwäche bedeutet. Estella behandelt Pip wie einen nichtsnutzigen Bauernjungen, trotzdem verliebt er sich unsterblich in sie und sein ganzes weiteres Handeln wird davon bestimmt, irgendwann Estella zu heiraten.

Meine Meinung:
Hm. Warum eigentlich? Von Anfang an habe ich meine Probleme damit gehabt, zu vestehen, warum um alles in der Welt sich so ein pfiffiger Junge wie Pip in so ein kleines Biest verlieben sollte. Der einzige Grund, den Dickens anführt, nämlich ihre Schönheit, kann ja wohl kaum einen Menschen dazu bringen, für immer und ewig wahnsinnig verliebt zu bleiben, wenn er weiß das das Objekt seiner Begierde ein herzloses Miststück ist?    Von dieser kleinen Verständnisschwierigkeit meinerseits abgesehen, ist die Geschichte ein fein gewebtes Meisterstück über Freundschaft und Treue. Denn Pip, dem irgendwann durch einen unbekannten Gönner mit einer Menge Geld zu großen Erwartungen ("Great Expectations") verholfen wird, wendet sich von den mittellosen und und ungebildeten, dafür aber herzensguten Freunden seiner Kindheit ab und lässt sich dazu verleiten als Gentleman in London ein bisschen versnobt zu werden. Die ganze Zeit aber hat er deshalb ein solch schlechtes Gewissen, dass man als Leser gar nicht anders kann, als ihn zu bemitleiden. Und froh darüber ist, dass er auch in London gute Freunde findet.

Tatsächlich hat Pip einen solchen Haufen wohlmeinender und herzensguter Menschen um sich herum, dass mir das schon ein bisschen komisch vorkam. Ich hab immer auf den Verrat gewartet, aber der kam einfach nicht. Ob das nun an meiner pessimistischen Weltanschauung liegt oder an der Spannungskurve, die ich von einem guten Buch erwarte, kann ich nicht beantworten. Es fiel mir aber durchaus nicht schwer, das Buch immer mal wieder aus der Hand zu legen, was schon eine Menge aussagt. Denn auch wenn die Geschichte trotz ihrer Komplexität hinterher in einem geschickten Plot endet, tröpfelt sie stellenweise ziemlich ereignislos dahin.
Ich würde sagen, dies ist ein Buch, das ich mit auf eine einsame Insel nehmen würde. Die Schauplätze der Geschichte sind so liebevoll gestaltet und die Charaktere so facettenreich, dass ich glaube, man kann auch nach dem zehnten mal lesen noch etwas Neues entdecken. Außerdem ist Dickens Erzählstil künstlerisch mit nichts zu vergleichen, was sich in unserem Zeitalter finden lässt. Auch in seinen Büchern gibt es nämlich die ätzenden, nervigen Charaktere. Dickens bindet sie aber so charmant in seine satirisch anmutenden Situationen ein, dass selbst das ständige dreiste Eigenlob Pips nervtötenden Onkels ein konstantes Schmunzeln beim Leser hinterlässt. 

Mein Fazit:
Alles in allem eine wundervoll einfühlsame Geschichte über das Erwachsenwerden und die eigenen Träume mit einigen derart durchgeknallten Figuren, dass jeder Psychologie-Student seine reine Freude daran haben wird. Als großer Klassiker absolut gerechtfertigt und ein gutes Begleitprogramm sowohl für Menschen die gerade in einer akuten Sinnkrise stecken, als auch für Träumer, die in Büchern gerne das echte Leben vergessen. Für einen spannenden Leseabend würde ich aber vielleicht eher Ken Follet oder so empfehlen. Verdienter Listenplatz Mister Pip.

1 Kommentar:

  1. Ich hab das auch mal angefangen zu lesen, musste es aber nach 2 Wochen wieder zurückgeben (Leihgabe) und ich finds echt schade dass ich nicht fertig geworden bin :(
    Aber super tolle Rezi !

    LG
    ________________________________________

    http://baddicted.blogspot.de/

    AntwortenLöschen

Related Posts Plugin for WordPress, Blogger...